Dass (digitale) Produkte erfolgreicher sind, wenn sie unter Berücksichtigung potenzieller Endkonsument:innen und ihrer Bedürfnisse entwickelt worden, ist gleichermaßen naheliegend 1 wie nachgewiesen 2 . Dennoch fällt es vielen Organisationen schwer, nutzer:innenzentrierte Prinzipien ernsthaft umzusetzen.

In den letzten dreißig Jahren hat sich eine Methode durchgesetzt, um Nutzer:innen-Fokus zu demonstrieren: die Persona. Personas sind fiktive Charaktere, die Nutzer:innen und ihre Bedürfnisse stereotypisch repräsentieren. Personas haben einen Namen, Foto, soziodemografische Informationen, Ziele und Motivationen.

In meiner UX-Arbeit habe ich viele solcher Personas gesehen. Und oft genug auch, wie leicht sie unwirksam werden. So passiert's.


Alan Cooper gilt (und bezeichnet sich selbst) als Vater der Persona. 1998 beschrieb er die Methode der „vorgetäuschten Nutzer:in“ als „notwendige Grundlage für gutes Interaktionsdesign“ 3 . Personas sollten möglichst konkret sein und dem Mantra „Glaubwürdigkeit statt Vielfalt“ 4 folgen, um in der digitalen Produktentwicklung sicherzustellen, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Bild ihrer potenziellen Nutzer:innen teilen.

Personas dienten dabei jedoch nicht der Wissensgewinnung – dazu waren die vorausgehenden Nutzer:innen-Interviews da – sondern waren als Gegenmaßnahme zum “Scope Creep” (der ständigen Ausweitung von Anforderungen in laufenden Projekten) gedacht. Sie sollten helfen, Ziele und Prioritäten zu setzen und damit zwischen Management und Entwicklungsteam zu vermitteln5 .

Wenn wir heute über Personas sprechen, werden diese kontextbezogenen Merkmale – insbesondere das vorausgehende User Research – gern außen vor gelassen6 . Stattdessen unterbieten sich Expert:innen mit immer geringeren Aufwänden, die für ihre Erstellung nötig ist 7 .

Womit wir bei der eigentlichen Unart wären, die sich in die Produktentwicklung eingeschlichen hat: die „Ad-hoc-Persona“. Auch sie war einst gut gemeint: Anstatt formeller Personas könnten Anforderungen innerhalb des Projektes “ad hoc” von Designer:innen mit Nutzungsszenarien kontextualisiert werden, um Empathie zu schaffen8 .

Davon übrig geblieben ist allerdings nur noch die Behauptung, dass es ausreichend sei, potenzielle Nutzer:innen aus persönlicher Erfahrung (schließlich sind wir alle Menschen) zu beschreiben. Diese Improvisation ist ein Nährboden für Fehlannahmen. Vor allem dann, wenn Teams ohne vorherige UX- und Design-Erfahrung ihre Nutzer idealisieren, ihnen ferne Menschen mit Zynismus behandeln oder implizite Vorurteile und Stereotype reproduzieren.

Da nichts so lange hält wie das Provisorium, gelangen diese Personas schließlich – ohne Evaluation – in den echten Entwicklungsprozess. Und verurteilen das Produkt noch vor seiner Entwicklung zum Scheitern.

Das bringt uns zurück zum Anfang: Nutzer:innen-Zentrierung ist teil fast jeder Unternehmensstrategie. Aber was bringt dieses Ziel, wenn letztendlich am wichtigsten Teil gespart wird: der aufrichtigen Auseinandersetzung mit ihren Nutzer:innen?


Über das Crystal Ball-Magazin

Crystal Ball ist das begleitende Magazin für die 2024 vom Media Lab Bayern finanzierten R&D und Future of News Fellowships. Alle Stipendiat:innen haben jeweils einen Text über ihr Projekt und einen Blick in die Zukunft beigetragen.

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